Wurde das wilde und exquisite Rosa - zum Symbol leuchtender Unberührtheit und häuslicher Verfeinerung der Arbeiterklasse weil es ein Licht in die gnadenlose, dunkle Welt warf und so magisch ist wie Schönheit überhaupt, so wurde es nun auch zur Farbe der Mädchen, zu ihrer Brandmarkung ; und man sperrte es jetzt, um sich vor jedem Verdacht der Effeminierung zu schützen, in üppige Szenerien der Verführung, einen gigantischen spasmo perverso aus Plüsch. Einst eine
verehrungswürdige Kostbarkeit, ein Wunder, war es jetzt launisch, verwöhnt und disziplinlos, abgeschnitten von den Sphären der Natur und der Aktion - ein Gegenstand der Verachtung. Durch diese Deportation wurde Rosa unwiderruflich und absolut HIGH. So betrat es die ultramondäne Welt von Pink.
Sante Fé, 1885, im Garten des Erzbischofs Jean-Marie Latour “… domestizierte Verbenen bedeckten eine ganze Flanke des Hügels, wie ein prächtiger Mantel, in der gleissenden Sonne niedergeworfen ; alle Nuancen, nach denen die Färber und Weber Italiens und Frankreichs jahrhundertelang auf der Suche waren ! Das Violett, das voll rosa und dennoch nicht Lavendel ist ; das Blau, das fast Rosa wird und sich dann plötzlich in ozeanisches Purpur verwandelt ! Die wahre espiskopale Palette und ihre zahllosen Varianten !!!” 3
Vor allem Gärten sind nach dem Tod derer, die sie angelegt haben, fast immer dem Verfall preisgegeben. Die Mühe, sie zu erhalten, lässt sie als Extravaganz erscheinen und wirft nachträglich - wenn nicht schon zu Lebzeiten – ein schräges Licht auf Personen mit so anspruchsvollen Vorlieben. Das liefert einen ‘guten Grund’ , Ressentiments gegen ‘Überflüssiges’ zu entwickeln und als Ausrede dafür zu benutzen, sich nicht weiter damit auseinanderzusetzen. Daher rührt die nicht wegzudenkende Verblüffung, wenn nicht offene Aggression, gegenüber der Gärtnereifraktion, die ihre Arbeit auch unter widrigsten Umständen weiter verrichtet.
Als im Sommerloch 1993 das Homo-Gen XQ 28 ein für allemal für Beruhigung hinsichtlich der bohrenden Frage sorgen sollte, warum es trotz AIDS immer noch Homos gibt, erklärte ein gewisser Simon H. Kappes in einer Umfrage zum Thema : “ Schwul geboren ? “. “Nein danke! Das bekommt man nicht geschenkt, das hat man sich hart erarbeitet”. Diese weise Äusserung kombinierten wir kurz darauf in einer Pressemitteilung mit einem Filmstill aus ‘Bringing Up Baby’, das Cary Grant in einem mit Marabufedern gesäumten Negligé zeigt, mit blitzenden Augen auf May Robson einredend, die ihm eine Rechtfertigung für seine verdächtige Aufmachung abverlangt hat. “I’ve gone gay - all of a sudden”, faucht er sie an, das goldige Biest.
Systematisch oder impulsiv, der Riss im kausalen Gewebe der Gene und Dynastien kann nicht gestopft werden wie die Socken der Nachkommenschaft. Er ist nicht aus Erde, sondern schaumgeboren wie Aphrodite und der schwärmerische Gesang der Sirenen : “Dort herrschen Ordnung nur und Schönheit, Luxus, Stille und Wollust !”4
‘Hart gearbeitet’ haben auch die Frivolen von Colette: … sie gehören zur verhängnisvollsten Jugend, der zweiten. Sie verlieren ihre Ernsthaftigkeit und erwerben eine richtige Vorstellung über das, was heilbar ist, und da wäre als erstes die Liebe zu nennen. Sie verwalten täglich geschickt den Zeitraum zwischen einer Dämmerung und der nächsten und sind abenteuerlustig im Geiste … Sie gewahren wie ich, wie schädlich täglische Arbeit ist … mit einem Wort, sie sind frivol, wie vor ihnen hundert Heldenmütige. Sie sind unter Mühen frivol geworden. Und Tag für Tag sondern sie sie ihre eigene Moral ab. Ein Umstand, der sie mir noch begreiflicher macht, und ihnen eine unterschiedliche Färbung verleiht.5
Und so ‘plötzlich’ gay wie Cary ist Eden Bower : … Ihr Vater verkaufte landwirtschaftliche Maschinen in Huntington, Ilinois, und sie war ohne jede Bekanntschaft oder Erfahrung ausserhalb dieser Steppenstadt aufgewachsen. Dennoch teilte sie seit ihrer frühesten Kindheit keine Überzeugung oder Meinung mit den Leuten um sie herum - die einzigen, die sie kannte. Aber sie hatte ja nie in Huntington gelebt, noch nicht einmal, bevor sie Bücher wie ‘Sappho’ oder ‘Mademoiselle de Maupin’ fand, die unter dem Ladentisch verkauft wurden. So als wäre sie nach Huntington, in die Familie Bower auf einem Zug gekommen, und wartete nur darauf, von einem anderen wieder mitgenommen zu werden. Noch bevor sie ihre kurzen Röcke los war, wusste sie, dass sie als bewunderte Schauspielerin weit weg in grossen Städten Diamanten und Pelze in Schaufenstern. Schultern und Moustaches beim Lunch in eleganten Hotels würde wählen können.6
1924, als sich der Grosse Gatsby – alleingelassen von allen die seine königliche Gastfreundschaft zugleich ausgenutzt und verachtet hatten - in einem grossartigen rosa Anzug für immer verabschiedet, war Elsa Schiaparelli, das ungewünschte und noch dazu hässliche Mädchen aus dem Palazzo Corsini, 34 Jahre alt, krisengeschüttelt, aber unverzagt. Lang vorbei war die Zeit der fatalen Blumensamen, die sie sich in Ohren, Nase und unter die Zunge schob, um als lebendiges Bouquet die ihr verweigerte Zuneigung zu erzwingen ; sublim würde sein, was kommen würde ! Es kamen Wet-Moss Green, Sunlight Golden, Bohemian Black, Orange Rust, Crazy Lavander, doch die unvermeidbare, für Elsa und ihren Farbspezialisten Jean Clément so naheliegende Revolution in Pinl Liess auf sich warten. 1936 war es soweit. Von Kindheits errinnerungen inspiriert, wünschte sich elsa eine Mischung aus Vatican – und Incapink. Jean’s anfängliche Spielereien mit Cameo-Pink, Desert Rose-Pink, Pink Ruby und Mauve Rose konnten keine Reaktionen zeitigen ; Parlour Pink mit Mauve, Pink Violet – Achselzucken ; dann, plötzlich war es da : ein vibrierendes, weit offenes Zyclam, das, was Diana Vreeland später als das Navy Blue Indiens bezeichnen sollte. Um einen Namen war Elsa nicht verlegen ; ihre erstaunliche Begabung dafür war ein Resultat ihrer traumatischen Taufe, bei der aus schierer Indifferenz niemandem ausser ihrer deutschen Amme etwas einfel. Unverzüglich nannte sie es ’Shocking’.7
Es wurde (die einzige Ausnahme bildete natürlich die Heimat von Siegfried und Sieglinde) DIE Farbe der Eleganz weltweit, und ist es heute noch – Anfang Mai in Venedig. Beeilt Euch, Ihr könntet zu spät kommen!
Aber selbst ein Eiffelturm aus shocking-pinken Nelken, mit dem Seifen-Dallas Elsa Maxwell nach dem Krieg als Ehrenbürgerin willkommen hiess, konnte THE WOMAN IN RED nicht davon abhalten, den Horizont zu verdunkeln. Wie ein Vorbote endloser, behäbiger Sommer, öde und leer bis auf die ikonengleichen Ehepaare auf ihren Terrassen – als ob man dafür bestraft werden sollte, die Lieblichkeit des Frühlings zu sehr geliebt zu haben.
Und dann ging alles ganz schnell, und zwar bergab. Mit der Uni kamen Schwarzwaldwanderungen und sowas ähnliches wie DA-SEIN in Mode ; gleichzeitig wurde die Glotze zur Quelle besserwisserischer Fachsimpeleien und halbe Schulklassen gaben als Traumberuf ‘Journalismus’ an. Endgültig in den Untergrund gedrängt waren Rosa und Pink allerdings erst, als selbst die berüchtigte, zum Bedauern der selbstkreierten Erziehungsberechtigten in Sachen Pop so schwer zugängliche Welt der Homosexuellen begann, Regenbogenfahnen zu schwingen und ihre Balkons damit zu markieren.
Doch zur Tröstung : auch wenn es im Rosa Leben nur noch wenige Taxis gibt, und meistens nicht, wenn man eines braucht, muss das nicht heissen, dass wahrhaft grosse Augenblicke für immer vorbei sind. Wie der folgende Lichtblick beweist. Ich muss zugeben, auch er gehört der Vergangenheit an, wie so vieles, das uns weiterhilft ; aber Du kannst es lesen, si tu veux :
Die Lady aus der Bibliothek trug einen wunderbar geschnittenen Mantel mit Nerzkragen und wartete im Schneegestöber auf ein Taxi. Aber es gab keine. Sie sah mich lächelnd an und sagte : “Denken Sie, eine Tasse Schokolade würde helfen? Es gibt ein Longchamps um die Ecke; sie bestellte heisse Schokolade ;ich einen ‘sehr’ trockenen Martini. Halbernst meinte sie : “Sind sie alt genug?” “Mit 14 habe ich angefangen, zu trinken – und zu rauchen auch” “Jetzt sehen sie auch nicht älter aus” “Nächsten September werde ich 19. “Und dass ich Schrifststeller werden wollte, gestand ich. Wen ich gut fände, wollte, sie wissen. “Hawthorne, James, Dickinson...” “Nein - Lebende!” “Na ja, nicht Hemingway, auch nicht Wolfe, manchmal Faulkner, vielleicht Fitzgerald... aber Willa Cather finde ich wirklich gut... haben Sie “Mein Todfeind” gelesen?
Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete sie: “Ich kenne es -- ich habe es geschrieben.”8
Das ist Pink. Don’t loose the magic!
Anmerkungen
1 Willa Cather (1873-1947) “A Lost Lady”, Vintage, Random House, NY, 1990 ; “O Pioneers!”, Oxford University Press, 1999
2 Johann W. Goethe
3 Willa Cather, “Death Comes For the Archbishop”, Vintage, Random House, 1990
4 Charles Baudelaire (1821-1867) “I ‘invitation au voyage”
5 Colette (1873-1954), “Le pur et l’impur”
6 Willa Cather, “Coming Aphrodite”, in collected stories, NY, 1992
7 Palmer White, “Elsa Schiaparelli : Empress of Paris Fashion”, NY, 1986
8 Truman Capote (1924-1984), “Music for Chameleons”, NY, 1994