Ich möchte im Winter mal Sommer haben
Und nachts in römischen Brunnen baden.
Ich möchte einmal in Juwelen wühlen
Und mich als Schwan unter Enten fühlen.
(Hildegard Knef 1965)
Jeff Koons hat die Postmoderne im Bereich der schönen Künste auf ein voraussichtlich nicht zu unterbietendes Niveau gebracht. Weil er all das vermissen liess, was nötig war, um etwas der Factory vergleichbares hervorzubringen, versuchte er es mit südtiroler Kunsthandwerk und mit der Regenbogenpresse.
Die wunderschönen Handwerker mit ihren zärtlichen Händen wurden vergütet und auf die Schulter geklopft, aber sie blieben anonym, denn der internationale Künstler mit universeller Botschaft wollte es so. Auch so umtriebige Medienmelker wie Le Corbusier oder Joseph Beuys haben keine Factories zustande gebracht, allenfalls so etwas wie eine ‘Entourage’ oder ein ‘Büro’ - ihr ‘Privatleben’ kann man mit der Lupe suchen, Paparazzi !
So wie die Tarantino-Mania endlich erreichte, was niemand mehr zu hoffen wagte : nämlich die als effeminiert verhasste Postmoderne, dieses uralte, exquisite, fragile Ding für die sog. “Couchpotatoes, eine Ansammlung chipsfressender Typen, die gerne in die Glotze starren” (Julie Burchill), konsumierbar zu machen, verschafften Koons und Cicciolina reproduktiver, zwangs- heterosexueller Paarung das Prestige, Dekonstruktion, Zitat und Genre zu sein – das kunstvolle Spiel mit und Wissen um die Vielschichtigkeit populärkultureller Artefakte, dessen virtuose Beherrschung jedoch von den konfliktbeladenen Verteilungskämpfen um politische, soziale und kulturelle Repräsentation in diesem Jahrhundert nicht zu trennen ist. Der Aneignung dieses Erbes aus notgeborener Frivolität und Second-Hand-Bravura durch diese notorischen Schattenwerfer ist zweifellos zuviel Aufmersamkeit geschenkt worden – und die Konsequenzen sind schlimm genug – aber sie kann über den Unterschied von Liebhaberei und küntlerischem Karrierismus (oder den zwischen Wissen und Information) nicht hinwegtäuschen : “ Der Liebhaber muss im Gegensatz zum Karrierist die Verfolgung seiner Passion nicht durch Karriere rechtfertigen” (Andrew Sarris : Confessions of a Cultist, NY 1970) Wenn am Beginn postmodernen Wissens – wann, wo? - der feinkörnige High-Low-Konstrast beträchtlich an Schärfe verloren hat, so bedeutet das weniger ein abgeschlossenes Verschwinden eines Monopols auf die Geschichte im angesicht der erfolgreichen etablierung der Geschichten als vielmehr eine permanente Kritik an allen (Re-) fixierungen auf Orthodoxien wie den neoakademischen Verbalismus, den neomodernistischen AntiVerbalismus, die Kumpelgalerie, die Stilisierung des ‘Politischen’ des ‘Korrupten’, des ‘Realen’, der privilegierten Igroranz usw., um nur einige Gruseligkeiten aus der zeitgenössischen Kunstszene aufzulisten.
Die Geschichte der Allianzen zwischen “aufgeklärten, verantwortungsbewussten und sensationsgierigen Frauen” (Valerie Solanas) und “femininen Homosexuellen - Königinnen, wenn’s sein muss - die, verachtet, sichtbar und verletzlich, soviel mutiger sind als die komplexlerischen Ultra-Männer” (Julie Burchill) bietet sich, so scheint mir, für eine solche Kritik besonders an.
Ihr kolossaler Höhepunkt war 1939 mit George Cukor’s “Die Frauen” erreicht. “Norma Shearer, Joan Crawford, Rosalind Russell und Paulette Goddard beweisen hier endgültig , dass … Männer in einem guten Film überflüssig, sind … die einzigen Männer, die eine Schauspielerin in den Dreissigern brauchte,waren Cukor als Regisseur, Adrian für die Kleider, und jemand, der in Uniform einen hübschen Chauffeur abgeben konnte.” (Julie Burchill)
Diese Geschichte ist alt genug, um das überaus strapazierfähige Stereotyp des sterilen Schwulen als Freund und Ratgeber aller Frauen hervorgebracht zu haben, die sich dem Diktat der Fetischisierung beugen, um durch die Verführung redlicher, hart arbeitender, aber willensschwacher Geschäftsmänner Klassenbarrieren überwinden und unverdienten Wohlstand erlangen zu können. Es scheint derzeit - die einzige Ausnahme bildet immer noch die Couture - nur schwer nachvollziehbar, warum diese weder sexuell noch ideologisch auf etwas ‘Authentisches’ reduzierbaren und mit den Stigmata der Nostalgie, der Schwärmerei, der Irrelevanz und der Luxuria behafteten Gemeinschaften nicht nur wenig beachtet, sondern ihre Vielfalt und Komplexität immer wieder durch die Factory aus dem Blickfeld gerückt werden.
Ich sehe in dieser beschränkten Rezeption vor allem eine unkritische Übernahme von Identifikationsmustern wie ‘Rebellion’ oder ‘Innerlichkeit’, aber auch die schwelend-homophoben, modernistischen Vorbehalte gegen ‘leichtverdauliche’ Eleganza. Gerade im Zusammenhang der ‘linken Sechziger’ wären Hinweise auf die Beziehungen zwischen beispielweise Werner Schroeter und Magdalena Montezuma, P.P Pasolini und Maria Callas, Luchino Visconti und Romy Schneider, R.W. Fassbinder und Hanna Schygulla wichtig, aber auch auf den Tod Judy Garlands’ am 22.6.1969 : einer der Tropfen, die das Fass im Stonewall Inn zum Überlaufen brachten.
Mary Harrons’ Film “I shot Andy Warhol” unternimmt zwar den Versuch, das bittere Scheitern einer Frau/Schwulen-Beziehung nachzuzeichnen und so den Gemeinplatz von deren harmonischer Belanglosigkeit zu erschüttern, aber ihre avantgardistiche Sprachaktivistin ist zu purismus-verdächtig, um nicht das unangenehme Gefühl auszulösen, sie diente vor allem dazu, die stilvolle Oberflächlichkeit Warhols’ (Parties und Opern) oder den traurigen Opportunismus von Candy Darling (Kerzen und Dionne Warwicke) zu denunzieren. Harron und Minahan schrecken nicht davor zurück, Solanas durch eine Psychiaterin als Lesbe deklarieren zu lassen, das Cliché von der Lesbe als personifizierten Feminismus zu bedienen und eine Hyperfrau aus ihr zu machen : viel zu intelligent für Lippenstift - was auf Kosten der Frauen geht, die ihn benutzen.
Auch das Gespenst der ‘A-sexualität’ , das sich früher oder später drehbuchgerecht am Tisch dieser Gemeinschaften einzufinden hat, verdient eine Bemerkung.
Wir dürften aus der Geschichte der Sexualitätdiskurse aller gesellschaftlichen Instanzen , die die Manifestierung der Moderne begleiteten, inzwischen gelernt haben, dass die von ihnen angehäufte, ‘empirische’ Vieldeutigkeit gegen alle Evidenz in die eisige Bipolarität zweier Eindeutigkeiten umgeschrieben wurde und daher jeder von angeblich klar definierbaren Akten bestimmten Sexualität einen palimpsestösen Charakter verleiht.
Es leuchtet mir daher nicht ein, wie Jörg Heiser in seinem Bericht über die Factory (in Tzk, “Sexuelle Politik?” , Nr.22) Andy Warhol noch einmal als a-sexuellen Homosexuellen bezeichnen kann. Abgesehen davon, dass dieses Thema weder ihn noch Klaus Theweleit etwas angeht und der absurde Begriff ‘a-sexuell’ dem brachialen Diktum des Aktes durch dessen vermeintliche Abwesenheit doppeltes Gewicht verleiht, scheint er zu suggerieren, dass ‘authentische’ Homosexualität ausschliesslich von phantastischen Akten nicht der Lust, sondern einer vorausgesetzten Erniedrigung, abhängig sei - und nicht z.B von einer schwulen Sozialisation, was voraussetzte, dass es Geschichte (n) gibt - sowie, dass a-sexuelle Homosexualität vor allem die Fähigkeit absoluter Machtausübung und Kontrolle steigere, wenn nicht sogar im Wurzelstock des Faschismus nistete. So kann ’Drella’ (Drakula + Cinderella) ins Reich puritanischer Arbeitsmoral und Selbstdisziplinierung heimgeholt und im Kanon angesiedelt werden,’in dem nur die Kunst wichtig ist’. Die phobische Evokation des schwulen Dandys, der es wagt, sich dem definitorischen Sexualterror zu entziehen, indem er die pathologische Konstruktion der ‘Frigiden’ als Attribut der Distinktion übernimmt und sein gekonntes Intrigenspiel hinter einer Maske der Passivität verbirgt, ist in diesen Äusserungen zur Routine geworden. Aber gerade das Aufblitzen der so fesselnden Dandies machen die Bestrebungen greifbar, Sexualitäten ausserhalb ihrer Geschichten anzusiedeln, um sie zu vereinzeln und für einen kulturellen Diskurs irrelevant erscheinen zu lassen.
Böl ve Yönet (Divide and Rule) .
Während es bei maskulinistischen schwulen Künstlern wie Jasper Johns oder Robert Rauschenberg - die mit sashaing Andy nichts zu tun haben wollten - keine Probleme gab, war es genau Warhols’ verwirrend affirmative Effemination und deren campy Genealogie (er besass mehr als einen Schuh von Carmen Miranda), die seine Historisierung als American selfmade Man erforderlich machte : vom Ausgebeutetwerden über die Ausbeutung anderer zu Ruhm und Einsamkeit und Verderben ; die Vita des genialen, ambitionierten Einzelgängers à la Citizen Kane oder Larry Flynt, bei der das einstmals ‘Genuine’ durch die Erschöpfung im Kampf um Anerkennung auf der Strecke bleibt. Das führt zur Privilegierung des Lebenabschnitts als ‘skrupelloser Unternehmer’ , welcher am besten dazu geeignet ist, das kapitalistische Grundmuster des aktiven Arbeitgebers und der passiven ArbeitnehmerIn für die spätere Legende zu antizipieren. Warhol’s Tätigkeit als einer der bestbezahlten Modegrafiker New York’s steht in diesem Zusammenhang nicht nur deswegen im Weg, weil er nicht als ‘kleiner Zeichner auf der Suche nach Erfolg’ stilisiert werden kann, sondern vor allem, weil er Mode zeichnete - also keine kunstkritischen Cartoons wie Ad Reinhardt oder gesellschaftskritische wie Saul Steinberg. Zudem lag seine sehr, sehr gute Bezahlung in den Händen einer ‘femininen’ Prestige-Industrie, die ‘Stil’ verkaufte, eine Sache, die in den revoluzzionären Sexigern zunehmend verdächtigt wurde, die ‘reinen’ und dynamischen Potentiale der Avantgarde in den stagnierenden Sumpf ihres reaktionären Ferienparadieses für abgehalfterte Pseudo-Aristocats hinabzuziehen. Aber die Instrumentalisierung der modernistischen Avantgarden als anti-totalitäres Markenzeichen für Demokratie auf dem bekannteren Hintergrund der Kommunisten- und (dem weniger bekannten) der Schwulenjagd sollte Anlass zu der Frage geben, ob die tyrannischen Stilfactories von Carmel Snow und Diana Vreeland mit ihrer ‘elitären’ Tradition frankophiler Décadence nicht dazu beigetragen haben, Warhols Factory aus dem Milieu der effeminierten ‘Aristokratie des Stils’ lösen zu müssen, um sie innerhalb einer Kunstszene mit dem Apostolat universaler, westlicher Freiheit als Avantgarde verwertbar zu machen.Das Wissen um die in diesem Szenario so ambivalenten Schätze des Camp hat besonders seit den 50er Jahren zu endlosen Bemühungen um ihre gleichzeitige Domestizierung und Verleugnung geführt.
Das vertraute Bild der ‘angeli del rock’, die mit blossen Oberkörpern eine gepflegte Tischgesellschaft darauf aufmersam machen, wie steif und unsexy sie ist und wie unnötig gute Tischmanieren, diplomatische Konversation und gutes Essen sind, um frei und dabei und unfaschistisch zu sein, war nicht nur eine 60er-Neuauflage der Wandervogelbewegung, sondern auch die perfidere Variation der patriarchalen Paranoia, Bildung und Zivilisation hingen mit Kastration zusammen, kultivierte Männer seien potentiell schwul oder zumindest die Opfer einer jede ‘männliche’ Regung unterdrückenden Frau oder Mutter.
Während der von allen weiblichen Attributen abgeschnittene, seiner besseren Hälfte beraubte weisse Mann beständig seine gleichfarbige Verlobte vor der Vergewaltigung durch die schwarze Bestie erretten zu müssen glaubte (in anderen İmperialismen durch den lüsternen Musulmanen), war der schöne ‘Mann der Frauen’ so gefährlich wie der schwule Dandy. John Barrymore und Rudolfo Valentino waren vielleicht seine vollkommensten Verkörperungen : sie stifteten die jungen Frauen nicht nur zum Schwänzen der Haushaltsschule an, sondern sie zogen die Gesellschaft von Frauen der von Cowboys genauso vor, wie die Frauen ihre Gesellschaft der ihrer Ehemänner vorzogen. Als Gesprächsgegenstand hatte das berüchtigte ‘Bruttosozialprodukt’ absolut keine Chance gegen ‘die Bretter dieser Welt’. In dieser Rindfleischatmosphäre, angereichert durch die Polit- und Perlenkettenschweinereien der machistischen Linken und Hippies, war die Factory zwar ein Hafen, aber ein Hafen mit keinesfalls unlimitiertem Appeal. Jerry Hall, Jessica Lange, Grace Jones, Pat Cleveland, Jane Thorwaldson, Donna Jordan und Tina Chow flüchteten nach Paris, an die Brust von Antonio, um in Juwelen wühlen zu können. - Bonne nuit, factory – bonjour côterie !